Vorträge

Freitag

Prof. Dr. med. Giovanni Maio

Am Anfang steht ein Wir. Eine kleine Philosophie der Geburt

Mit jeder Geburt kommt neue Bedeutung, neuer Sinn, neue Initiative auf die Welt. Man kann angesichts der Geburt nicht einfach so weitermachen wie zuvor, weil die Geburt aufrüttelt, auffordert, aufruft. Im Angesicht der Geburt realisiert man, dass ohne die Bereitschaft, sich auf das Kind einzulassen, es keine Zukunft gäbe. Ohne diese Verantwortungsübernahme anderer hätten wir selbst nicht überlebt. Und so verweist die Geburt auf die Beziehungshaftigkeit allen Lebens, sie verweist darauf, dass jeder geborene Mensch sich fraglos seiner Welt überlässt und die Welt empfänglich bleiben muss für die Bedürfnisse des anderen. Die Geburt ist Sinnbild dafür, dass kein Mensch ohne ein Wir sein kann. Über die Bedeutsamkeit der Geburt nachzudenken verweist daher unweigerlich auf das Grundlegende menschlicher Existenz.

Beate Kayer | Hemma Roswitha Pfeifenberger

Fetale Überwachung in der Schwangerschaft – was hat sich verändert?

In der fetalen Überwachung während der Schwangerschaft gab es in den letzten Jahren und Jahrzehnten einiges Neues: Sowohl in der Technik gab es Fortschritte und Veränderungen als auch in den Empfehlungen, die in den aktuellen Leitlinien zusammengefasst sind. Die Leitlinie »Fetale Überwachung in der Schwangerschaft« hält fest, wann und mit welchen Methoden die fetale Vitalität überprüft werden soll. Die Leitlinie »Die vaginale Geburt am Termin« äußert sich genauer zur Durchführung der intermittierenden Auskultation. Was bedeutet das für die Durchführung der intermittierenden Auskultation und CTG-Kontrollen?! Beate Kayer und Hemma Pfeifenberger erläutern in ihrem Vortrag, welche Auswirkung die Leitlinien auf die tägliche Praxis haben und wie sich der aktuelle State of the art in der fetalen Überwachung umsetzen lässt.

Güneş Brown | Elina Eichel

Mutmachbeispiel 1 | Pilotprojekt: Schwangerenvorsorge in der Gruppe

Obwohl die finanzielle Förderung des Projekts noch nicht bewilligt ist, wagt das Team des »Haus für Geburt und Gesundheit« in Hamburg im Januar 2024 den Einstieg in ein für Deutschland neues Schwangerschafts-Versorgungsmodell: die Schwangerenvorsorge in der Gruppe. Mit dem Projekt will das Team möglichst vielen Schwangeren einen Zugang zu einer selbst ermächtigenden Gesundheitsversorgung, individueller Hebammenberatung und Austausch in der Gruppe bieten. Zum Jahresanfang ist eine Schulung für das Team geplant, für die sie die Universität Lübeck für die wissenschaftliche Begleitung gewinnen konnten. Die Umsetzung der Gruppenvorsorge ist zunächst im Rahmen der Hebammensprechstunde für Schwangere ohne Versicherung geplant. Auf dem Kongress berichtet das Team von den ersten praktischen Erfahrungen und ihrem Weg zur Implementierung.

Dr. Konrad F. Cimander

Cannabis in der Schwangerschaft – was wissen wir?

Auswirkungen legaler Drogen, wie Alkohol und Nikotin oder Arzneimittel wie Benzodiazepine, auf die Schwangerschaft und die fetale Entwicklung sind bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Auch illegale Drogen wie Heroin und Kokain führen zu erheblichen Problemen bei den Konsument:innen mit in der Folge neonatalen Entwicklungsstörungen, die häufig gynäkologische und suchtmedizinische Risikosprechstunden benötigen. Postpartale lang anhaltende Entzugssymptome der Neugeborenen müssen nicht selten in spezialisierten pädiatrischen Abteilungen behandelt werden. Wie sieht es bei Cannabiskonsum – einer der am häufigsten konsumierten Drogen – aus? Hierzu ist aufgrund fehlender Evidenz deutlicher weniger bekannt. Hinzu kommt jetzt der Einsatz von medizinischem Cannabis bei schweren chronischen Erkrankungen wie Epilepsien, die auch eine Schwangerschaft gefährden können.

Ulrike Harder

Entspannung durch Bewegung. Rebozo – vor und während der Geburt

In Mexiko und Guatemala setzen traditionelle Hebammen das Rebozo rund um die Geburt ein. Rebozo, spanisch für Schal oder Tuch, benennt das gewebte große Tuch, welches von den Frauen zum Tragen der Kinder, sich selbst Einhüllen etc. verwendet wird. Bewegt die Hebamme eine schwangere Frau sanft mithilfe des Tuches, hat dies oft eine beruhigende und auf die Muskulatur entspannende Wirkung. Auch Fehleinstellungen des Kindes lassen sich eventuell positiv beeinflussen, durch gezielte Beckenbewegungen in förderlichen Gebärpositionen. In ihrem Vortrag stellt die erfahrene Geburtshelferin Ulrike Harder verschiedene Anwendungen der Rebozo-Technik vor, die auch in modernen Geburtsräumen möglich sind. Baby-Tagetücher eignen sich gut als Rebozo, mehrere Techniken lassen sich aber auch gut mit vorhandenen Textilien wie Bettlaken, Stecklaken oder Nachthemden umsetzen.

Nele Krüger

Ruhephasen während der Geburt. Vom Fortschritt in der Pause

Inwieweit sind Pausen im Prozess des Gebärens ein physiologischer und gegebenenfalls sogar wichtiger Teil der Normalität? Und wie ist es zu der wissenschaftlich wenig fundierten Normierung der Geburtszeit gekommen, die immer wieder zu Zeitdruck in der Geburtsbegleitung führt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Nele Krüger in ihrem Vortrag. Anhand von Beispielen aus der historischen und aktuellen Fachliteratur sowie Aussagen aus Expert:innen-Interviews wird deutlich, wie sich die Bewertung von Geburtsdauer und Pausen gewandelt hat. Und in der Praxis? Die Empfehlungen aus den aktuellen Leitlinien ermöglichen eine Betreuung mit mehr Zeit und weniger Normierung. Um langsame Geburtsverläufe korrekt einschätzen zu können, betrachtet Nele Krüger die evidenzbasierten Kenntnisse zu den Regulationsmechanismen des mütterlichen und kindlichen Organismus, die hier eine wesentliche Rolle spielen können.

Elena Bercx | Hilke Schauland

Mutmachbeispiel 2 | Gut informiert. Sectioraten senken

Im Jahr 2014 lag die Sectiorate bei 31,8 % in Deutschland. Die WHO sieht eine Rate von 15 % als medizinisch vertretbar an. Für Mutter und Kind können gesundheitliche Folgen wie Wundheilungsstörungen, höhere Blutverluste, Allergien und Asthma entstehen. Das Sozialministerium Niedersachsen und der Hebammenverband Niedersachsen initiierten 2015 eine Infokampagne mit dem Titel »Bauchgefühl – gut informiert über die natürliche Geburt«. Schwangere erhielten Informationen zur natürlichen Geburt, wodurch die Sectiorate gesenkt werden sollte. Dieses Ziel wurde im anschließenden Projekt Bauchgefühl in einer ausgewählten Region mit konkreten Maßnahmen gefördert. Die Sectioraten wurden im Projektzeitraum in allen drei Kliniken im Durchschnitt um 8,1 % reduziert. Ein erfolgreiches Projekt! Wie sieht die Nachhaltigkeit im Jahr 2024 aus?

Samstag

Prof. Dr. Christiane Schwarz

Intrapartale Tokolyse – ist gut gemeint das Gegenteil von gut?

Sie findet bei vielen Geburten Anwendung: die Akuttokolyse. Sei es, um ein ungeborenes Kind intrauterin »zu reanimeren«, oder um die Wehentätigkeit – häufig in Kombination mit Wehenmittel – zu »optimieren«. Können gebärende Frauen tatsächlich ihre ungeborenen Kinder so schlecht versorgen? Sind Feten so inkompetent, dass sie ohne Medikamente eine Geburt nicht gesund überleben können? Welche Indikationen gibt es für eine Tokolyse während der Geburt? Welche Medikamente stehen für die Tokolyse zur Verfügung und wie wirken sie? Schon vor vielen Jahren publizierten die US amerikanischen Geburtshelfer:innen Garite und Simpson die kühne Überlegung, dass der Nutzen einer Tokolyse möglicherweise darin liegt, dass sie die Geburtshelfer beruhigt und dadurch unnötige Interventionen verhindert.* *Garite, T. J., & Simpson, K. R. 2011. Intrauterine resuscitation during labor. Clinical obstetrics and gynecology, 54(1), 28–39

Zora Gallenberger

Am Puls der Zeit. Abnabeln nach Plazentageburt

Seit Jahrhunderten wird über den optimalen Abnabelungszeitpunkt diskutiert. Dabei weisen die Physiologie der Nachgeburtsphase, die Praktiken von Menschenaffen und einigen traditionalen Kulturen sowie das Expert:innenwissen erfahrener Hausgeburtshebammen in eine klare Richtung: Damit Mutter und Kind die Adaptations- und Transitionsprozesse ungestört durchlaufen können, sollte die Nabelschnur erst nach der Geburt der Plazenta durchtrennt werden. Bleibt der plazentare Kreislauf postpartal so lange bestehen, bis die Ressourcen ausgeschöpft sind und Mutter und Kind keine gegenseitige Unterstützung mehr benötigen, bildet dies die beste Prophylaxe vor mütterlichen und kindlichen Komplikationen in der Plazentarperiode. Es ist Zeit, die gängige Abnabelungspraktik zu überdenken. In ihrem Vortrag gibt Zora Gallenberger einen Einblick in die aktuelle Datenlage zum Thema.

Jeanette Kuckartz | Anja Salmassi | Laura Üffing

Mutmachbeispiel 3 | Für die Frauen und Hebammen: Implementierung eines Hebammenkreißsaals

»Der Hebammenkreißsaal sollte weder geburtshilfliche Avantgarde noch ein Trend sein!«, so der Gedanke des Hebammenteams im Marienhospital Aachen. Bevor sie Ende August 2023 ihren Hebammenkreißsaal eröffneten, blickten sie bereits auf die Gründung ihres Hebammenzentrums in 2018 und die Implementierung des Expertinnenstandards zur Förderung der physiologischen Geburt zurück. Und dann gab es da noch das Herzensprojekt: den Hebammenkreißsaal. 2021 startete das hoch motivierte Team trotz zwischenzeitlichem Hebammenmangel sowie zahlreicher Verzögerungen mithilfe einer Fördersumme vom Land und der Unterstützung der Klinikleitung durch. Neben positiver Anspannung, Vorfreude und Überzeugung begleiteten viele Fragen, Sorgen, Kritik und mancher Zweifel das Vorhaben. In ihrem Vortrag nimmt uns das Team mit auf ihren Weg – und spricht über Motivation, Glück, Stolpersteine und die ersten Erfahrungen.

Esther Göbel

Was Kinder uns nach der Geburt erzählen

Mit dem ersten Schrei des Kindes verbinden wir Kraft, Vitalität und Präsens. Was aber verbindet das Kind mit seinen Äußerungen? Was ist, wenn dieses Kind häufiger schreit, sich vielleicht sogar zu einem »Schreikind« entwickelt? Tut ihm etwas weh, braucht es etwas? Wie wäre es, wenn wir es fragen könnten: Erzählst du mir von der Geburt? Wie war sie für dich? Erinnerst du dich daran, wenn ich dir den Pullover über den Kopf ziehe? Oft erzählen die Kinder nicht nur über ihre Geburt, sondern auch von Erlebnissen in der Schwangerschaftszeit: über Probleme mit der Plazenta und Nabelschnur, einen Zwilling am Anfang des Lebens … Der Tag der Geburt ist nur einer in einem Kontinuum. Wenn Babys die Chance »zum Erzählen« bekommen, beginnt Heilung und Verständnis bei allen Beteiligten. Dabei ist das Anerkennen der erlebten Empfindungen und Erfahrungen ein wichtiger Bestandteil der Aufarbeitung des Geburtserlebnisses: Wut, Angst, Überforderung, Panik – alle Gefühle sind möglich. Es ist schön, wenn ein Kind seinen Eltern alles erzählen kann. Welche Aufgabe hat dabei die begleitende Hebamme?

Frank Madundo | Sarah Schulze | Ingrid Vogt

Mutmachbeispiel 4 | Gemeinsam! Geburtsnachgespräche

Manchmal wünschen sich Frauen ein Geburtsnachgespräch – und manchmal wünschen sie sich, dabei begleitet zu werden. Diesen Wunsch erfüllt ein interdisziplinäres Team im Ortenaukreis. Dort bietet eine Elterninitiative gemeinsam mit dem Team der Frauenklinik des Ortenau Klinikums ein Geburtsnachgespräch an, das die Frauen, wenn sie es wünschen, mit einem Mitglied der Elterninitiative vorbereiten können und von dem sie zum Gespräch begleitet werden. Wie ein solches »Gemeinsam« aus Hebammen, Ärzten und Eltern gelingen kann, berichtet in diesem Mutmachbeispiel das interdisziplinäre Team der Ortenau – von den Anfängen der Zusammenarbeit bis zum Status Quo. Das Team ist überzeugt: Es ist wichtig und wertvoll, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, zuzuhören, nachzufragen, zu verstehen und gemeinsam an Veränderungen zu arbeiten.

Nora Frank | Laura Hubrich

Die Stimme der Frauen: Stillen – so lange Mutter und Kind wollen

»Du stillst immer noch?« Frauen, die ihre Kinder lange stillen, werden häufig mit diesen und ähnlichen Fragen und guten »Ratschlägen« von Freunden, Familienmitgliedern und auch Fremden konfrontiert – dabei ist die Frage, wann »lange stillen« eigentlich »lange« ist, eine subjektive Definition. Nora Frank und Laura Hubrich haben ihre Kinder lange gestillt. In ihrem Vortrag berichten sie von ihren Erfahrungen: von der tiefen und bedeutsamen Erfahrung der Stillbeziehung, den Herausforderungen und Lernmomenten, dem Erleben ihrer Familien und ihrem Umgang mit kritischen Blicken und übergriffigen Fragen. Und der Bedeutung von Hebammen und Stillberater:innen in dieser Lebensphase. Hören wir zu, wenn Frauen berichten.

Christiane Stange

Langzeitstillen – oder doch Normalzeitstillen?

Langzeitstillen. Langes Stillen. Längeres Stillen. Also länger als üblich? Oder länger als normal? Also außerhalb der Norm? Und wenn nicht normal, dann besser oder schlechter als die Norm? Und welche Norm ist eigentlich gemeint? Eine statistische, gesellschaftliche oder biologische Norm? In Stillgruppen mit Müttern älterer Stillkinder spürt man die Verunsicherung, die Sorge und auch den Ärger, die aufkommen, wenn man als Mutter immer wieder damit konfrontiert wird, dass man sich (vermeintlich) nicht normal verhält. Dieser Vortrag liefert Eckdaten über die Normalität von Stilldauer sowie Einblicke in die brennendsten Themen in Stillgruppen mit Müttern älterer Stillkinder.